Themen: Grundideen der feministischen Sprachkritik, Bedeutung vs. Wortassoziationen, generischer Plural, wissenschaftstheoretische Kritik an Studien der Gender-Befürworter (Repräsentativität, Replizierbarkeit, Sprachmagie etc.), Mythos Stereotype und “Male Bias”, aktivistische Wissenschaft (myside bias, publication bias, media bias etc.), Grammatik und Gerechtigkeit, praktische Probleme der Gender-Formen (Einheitlichkeit, Lesbarkeit, Lernbarkeit, Verständlichkeit), Gendern als Soziolekt der progressiven Elite, die Exklusivität der inklusiven Sprache, Geschlechtergerechtigkeit: Ziele vs. Mitel, autoritäre Sprachpolitik, Kulturkampf, Sprache und Identität.

Vorlesung “Bullshit-Resistenz. Einführung ins kritische Denken” an der Universität der Künste Berlin (UDK) im Sommersemester 2023.

Vorlesung 14. “Sondersitzung: Gendern”

Zusammenfassung

(1) Die feministische Linguistik und die Befürworter des Genderns vertreten die These, Wörter und die Grammatik des Deutschen (speziell das generische Maskulinum) würde Frauen unsichtbar machen, diskriminieren oder nicht angemessen repräsentieren.

(2) Bei einigen Wörtern ist das historisch bedingt der Fall, bei Experimenten zur Grammatik scheint das auf den ersten Blick auch so zu sein.

(3) Viele dieser Experimente sind jedoch wissenschaftstheoretisch fragwürdig: Sie basieren auf falschen Annahmen über die Grammatik des Deutschen, sind nicht repräsentativ, verwechseln Wortassoziationen mit Sprachverstehen, haben ein schlechtes Studiendesign, oder sie sind nicht replizierbar.

(4) In einem grammatisch informierten Experiment werden 99 Prozent der maskulinen Pluralformen (und 94 Prozent der Berufsbezeichnungen) generisch verstanden; Gegenderte Nomen führen in vielen Experimenten umgekehrt nicht oder kaum dazu, dass Probanden mehr an Frauen denken.

(5) Die Grammatik von Einzelsprachen hat keinen bisher nachweislichen kausalen Einfluss auf die Moral.

(6) Gegenderte Formen zeigen teils unlösbare Defizite in der Einheitlichkeit, Lesbarkeit, Lernbarkeit und Verständlichkeit.

(7) Gendern ist in seiner sozialen Funktion ein Progressivitätsmarker, mit dem sich die „kulturelle Klasse“ gegenseitig ihre Gruppenzugehörigkeit signalisiert und sich gegenüber anderen Gruppen abgrenzt.

(8) Fast jeder Deutsche hält Gleichstellung für sehr wichtig, aber in fast allen Umfragen lehnen über Zweidrittel Gendern ab. Offenbar sehen sie Gendern nicht als sinnvolles Mittel der Gleichstellungspolitik an.

(9) Gute konzipierte zukünftige Experimente werden zeigen, ob die starken Annahmen der Genderbefürworter gerechtfertigt sind. Gut begründete Argumente in öffentliche Diskussionen werden zeigen, ob Sprachveränderungen moralisch und politisch gerechtfertigt sind.

Literatur (Auswahl, vollständige Liste am Ende des Videos)

De Backer, Maarten et al. (2012) „The Interpretation of Masculine Personal Nouns in German and Dutch: A Comparative Experimental Study“ Language Sciences 34: 253–268

Gygax, Pascal et al. (2008) „Generically Intended, but Specifically Interpreted: When Beauticians, Musicians and Mechanics are all Men“ Language and Cognitive Processes 23: 464-485

Horvath, Lisa Kristina et al. (2015) „Reducing Women’s Lack of Fit with Leadership Positions? Effects of the Wording of Job Advertisements“ European Journal of Work and Organizational Psychology 25.2: 316–328

Jäckle, Sebastian (2022) „Per aspera ad astra – Eine politikwissenschaftliche Analyse der Akzeptanz des Gendersterns in der deutschen Bevölkerung auf Basis einer Online-Umfrage“ Politische Vierteljahresschrift 63.3: 469–497

Kirkegaard, Emil et al. (2021) „The Left-liberal Skew of Western Media“ Journal of Psychological Research 3, 3: 26–43

Körner, Anita, et al. (2022) „Gender Representations Elicited by the Gender Star Form” Journal of Language and Social Psychology 41.5: 553–571

Payr, Fabian (2022) Von Menschen und Mensch*innen. 20 gute Gründe mit dem Gendern aufzuhören. Wiesbaden: Springer

Pusch, Luise F (1984) Das Deutsche als Männersprache. Frankfurt am Main: Suhrkamp

Trutkowski, Ewa und Meinunger, André (Hg.) (2023) Gendern auf Teufel*in komm raus? Berlin: Kadmos

Trutkowski, Ewa et al. (2023) „Zeugen gesucht! Zur Geschichte des generischen Maskulinums im Deutschen“ Linguistische Berichte 273: 5–40

Wegener, Heide (2023) „Untersuchungen zur Interpretation generischer Maskulina – die Tests“ in Trutkowski/Meinunger (2023)

Zifonun, Gisela (2018) „Die demokratische Pflicht und das Sprachsystem: Erneute Diskussion um einen geschlechtergerechten Sprachgebrauch“ sprachreport 34.4: 44–56

  • thzihdd@feddit.de
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    11 months ago

    Mich würde der Effekt bei Kindern interessieren. Meine Töchter nehmen sehr deutlich wahr, wenn Wörter wie Berufsbezeichnungen nur in männlicher Form benutzt werden. Sie fühlen sich dann eindeutig nicht “mitgemeint” und fordern eine weibliche Form ein (z.B. Feuerwehrfrau).

    Ist natürlich anekdotisch, aber wissenschaftliche Studien zur Geschlechterwahrnehmung bei Kindern wäre interessant, habe ich bisher wenig gelesen.

    • danielbln@lemmy.world
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      11 months ago

      Ich merke da einen Unterschied, bei ,“Feuerwehrmann” vs “Feuerwehrfrau” wird deutlich wahrgenommen, “Lehrer” vs “Lehrerin” eher weniger.